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Der nackte Wahnsinn, Frayn

Volkstheater Rostock, Rostock, Deutschland

„Sardinen rein. Sardinen raus. Das ist Farce. Das ist Theater. Das ist Leben!“

Die Premiere Nackte Tatsachen steht kurz bevor und noch klappt einfach nichts: hier werden Requisiten vergessen, da klemmt das Bühnenbild, dort fehlt eine Kontaktlinse und ein Darsteller ist nicht zu finden. Das Ensemble verzweifelt am Text, ein Teller Sardinen macht alle verrückt, der in Liebesaffären verstrickte Großkotz von Regisseur verliert die Kontrolle – und der Wahnsinn ist nicht mehr zu stoppen.
Der erfolgreich verfilmte, hochkomische Bühnenhit des britischen Dramatikers Michael Frayn, ein raffiniert eingefädeltes Spiel im Spiel, ist rasanter Slapstick von der feinsten Sorte und eine so scharfsinnige wie spitzzüngige Liebeserklärung an das Theater, die dem Publikum Pannen und Pleiten sowie einzigartige Einblicke hinter dessen Kulissen gewährt.

Die bekannte Komödie von Michael Frayn nimmt die recht katastrophalen Proben und Aufführungen des Stücks „Die nackten Tatsachen“ auf die Schippe und verstrickt alle Beteiligten in ein hochkomisches Tohuwabohu. Im Grunde handelt es sich also um zwei Stücke in einem. Deshalb die Frage, wer Sie sind. Der Regisseur der Inszenierung „Der nackte Wahnsinn“ oder der Regisseur der Aufführung „Die nackten Tatsachen“?

Ja, das frage ich mich manchmal auch. Vor allem dann, wenn sich meine Regieanweisungen und die des anderen Regisseurs fast aufs Tüpfelchen gleichen. Falls dann noch der Schauspieler, der im Stück ein Requisit vergisst, sein Requisit vergisst, kann man schon mal durcheinander kommen. Oder wenn niemand weiß, ob die Darstellerin der Darstellerin der Rolle XY gerade unter Schmerzen über die Bühne hinkt, weil ihr jemand auf den Fuß trampelte oder weil das gerade gespielt wird. Allerdings ist genau das der Zauber dieser wunderbaren Farce, dass sie die anarchistisch-kreative Realität der Theaterproben zeigt – als tägliche Grenzerfahrung und als nie versiegende Quelle der Inspiration.

Der Regisseur der „Nackten Tatsachen“ entspricht dem Klischee vom leicht frustrierten, älteren weißen Mann. Er ist autoritär, hat heimliche Affären mit zwei seiner Mitarbeiterinnen, fährt seinen SchauspielerInnen gerne über den Mund und steht gleichzeitig ständig kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Wie schaffen Sie es, mit diesem Typen zusammenzuarbeiten? Und besteht nicht die Gefahr, dass Ihr Ensemble an ihm verzweifelt und die Aufführung „Der nackte Wahnsinn“ gänzlich im Chaos versinkt?

Ja, ja absolut. Und um das zu verhindern, hielten wir uns den Kollegen weitgehend vom Hals, was heißt, wir evakuierten ihn in den Zuschauerraum. Allerdings nutzte das wenig. Er stürmte immer wieder auf die Bühne, um fuchsteufelswild in die Proben einzugreifen. Und was soll man da machen? Da muss man Ruhe bewahren, freundlich bleiben und sich vor allem erstmal selbst an die eigene Nase fassen. Denn irgendwo lauert doch in jedem von uns so ein überheblicher Wüterich – und den braucht ja kein Mensch.

Der Herr Regisseur der „Nackten Tatsachen“ wird Ihrer Aufführung „Der nackte Wahnsinn“ also als Zuschauer beiwohnen?

Nein, leider hat er es dann doch geschafft, das Kommando zu übernehmen.

Aber das kann ich schon verstehen – für die meisten Regisseure ist es halt unheimlich schwer, sich gewinnbringend zurückzuhalten. Und deshalb schlittert unser Stück nun frohgemut über ganz

dünnes Eis und rettet sich sozusagen von einer genialen Verschlimmbesserung zur nächsten. Besser gesagt, wir hoffen, dass es sich retten wird. Man weiß ja nie.

 

Die ZuschauerInnen werden den turbulenten Bühnenspaß um die kleinen und großen Tragödien im Miteinander einer Theatertruppe ja auch hinter den Kulissen miterleben dürfen. Wie ist das möglich?

Das multifunktionale Bühnenbild von Claudia Charlotte Burchard wird dank des Einsatzes der Volkstheater-Werkstätten und der Bühnentechnik einfach mal mitten im Stück um 180° gedreht und das Publikum sieht, was ihm üblicherweise verborgen bleibt: den heroischen Kampf der Theaterschaffenden gegen Pleiten und Pannen. Wie sich der gestaltet, zwischen Stolpern, plötzlich vergessenem Text, umkippenden Pappwänden oder einem fehlenden Requisit, das ist schlicht – der nackte Wahnsinn.

 

Und zusätzlich spielt Ihre Inszenierung als komödiantische Allegorie auf das Chaos der, in ihren letzten Zügen liegenden, ehemaligen DDR an?

Ja. Vielleicht liegt es am 30. Jahrestag des Mauerfalls. Auf jeden Fall haben sich hier und da einfach ein paar nackte realsozialistische Tatsachen in unsere Umsetzung geschlichen.

Interview: Anna Langhoff

Mit: Sandra-Uma Schmitz, Bernd Färber, Sonja Isemer, Natalja Joselewitsch, Lev Semenov, Ulf Perthel, Ulrich K. Müller, Anna Gesewsky, Steffen Schreier

Bühne und Kostüme: Claudia Charlotte Burchard
Dramaturgie: Anna Langhoff 

Fotos: Dorit Gätjen

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