Bunbury, Wilde
Staatstheater Darmstadt, Darmstadt, Deutschland
„Ist es nicht schrecklich, wenn man nach so vielen Jahren feststellt, dass man die ganze Zeit die Wahrheit gesagt hat.“
Nach „Der Diener zweier Herren“ und „Der Idiot“ ist „Bunbury“ jetzt deine dritte Arbeit am Staatstheater Darmstadt. Wie kam es zur Auswahl dieses Stückes, und was interessiert dich besonders an dem Text?
Dieses Mal wurde mir das Stück vom Theater vorgeschlagen, und am Anfang war mir der Text noch ein bisschen fremd, weil ich mich gefragt habe, was das jetzt gerade mit uns und unserer Situation zu tun hat, und was uns dieser Text über unser Heute erzählen kann. Und dann habe ich mich lange mit dem Autor und seiner Geschichte beschäftigt und fand es sehr interessant, dass Oscar Wilde das Stück zu einer Zeit geschrieben hat, in der er in einer unglaublichen privaten und beruflichen Drucksituation war, und dass man dem Text davon gar nichts anmerkt. Das fand ich bemerkenswert. Darüber habe ich dann Zugang dazu gefunden, was diese Oberfläche in Wildes Stück vielleicht meint, und dass in ihr so eine Art Strategie stecken könnte, mit den Problemen, die man in der Welt antrifft, umzugehen.
Und wie würdest du diese Oberflächen-Strategie beschreiben?
Das ist nicht nur eine Flucht vor den Problemen, indem man sich auf etwas anderes richtet, sondern auch, indem man sich über etwas lustig macht und dadurch über die Probleme erhebt. Das heißt konkret bei Oscar Wilde, dass er sich über eine Gesellschaft erhebt, in die er damals als Künstler, der seine Sexualität nicht offen ausleben konnte, keinen Eingang gefunden hat. Was wir dann in der Arbeit mit dem Stück immer wieder erleben, ist, was passiert, wenn das Spiel aussetzt. Wir haben konkret auf den Proben das Gefühl, dass das, was die Figuren tun, ein Spiel ist. Sie spielen mit ihren sozialen Rollen, spielen mit Gesellschaft. Wir wissen aus dem Leben von Oscar Wilde, dass er genau das getan hat. Er hat mit Gesellschaft gespielt, er hat mit Sprache gespielt, und dann ist er in eine Situation gekommen, wo ihm dieses Spiel weggenommen wurde. Und das finde ich interessant. Man merkt den Figuren an, dass unter ihrer großen Freude darüber, miteinander zu spielen, nichts ist, dass es keinen Boden gibt, sondern eine große Leere. Auch wenn man das gar nicht direkt darstellt, gibt es eine spürbare Abwesenheit. Und in diese Abwesenheit wird eine Unmenge an Zeug gefeuert, bei uns ganz konkret mit einer großen Ausstattungsschlacht – unglaublich viele Requisiten, Kostüme, alle möglichen Effekte. Das hat ein bisschen was mit der Art und Weise zu tun, wie wir Konsum leben. Wir spüren irgendwie, dass wir keine Handhabe haben über die Welt, oder wir haben keinen richtigen Zugriff, und wir versuchen diese Leere zu stopfen. Aber alles verschwindet in diesem schwarzen Loch, und ich glaube, dass dieses Loch hier spürbar sein kann. Mich interessiert aber auch die Frage, was wir eigentlich davon haben, wenn wir den Figuren dieses Spiel wegnehmen, und sie dadurch am Schluss in eine Wahrheit zwingen. Ist das ein Gewinn oder stellen wir fest, dass dieses Spiel eine sehr notwendige Notlösungsstrategie war?
Oscar Wilde glaubt nicht mehr daran, dass sich Wahrheit direkt sagen, erleben und darstellen lässt – sondern, dass sie sich nur noch im Widerspruch zeigen kann. Das könnte man ja geradezu als postmoderne Haltung zur Kunst und zur Welt bezeichnen. Was bedeutet das für die Inszenierung, vor allem für die Schauspieler*innen? Wie sieht es aus, wenn Du ihnen die Oberflächen wegnimmst?
Das Stück thematisiert Oberflächlichkeit. Es macht sich über eine oberflächliche Gesellschaft lustig. Es zeigt Leute, die eigentlich nur an der Oberfläche existieren. Scheinbar scheint es überhaupt keine realen Probleme zu geben, weil die Figuren keine materielle Not erleiden. Und in dieser Welt gibt es nur einen einzigen Wunsch, den alle Figuren eigentlich immer formulieren: Sie wollen ‚Ernst‘ sein, wobei man überhaupt nicht weiß, was das eigentlich sein soll, ‚Ernst‘. Das ist nur noch ein Name, ein Begriff. Es ist der Wunsch, dass etwas da ist, dass es um etwas geht. Die Figuren sind Kunstfiguren, sie haben eine Kunstsprache. Wir wollen aber heute eigentlich oft ganz gerne, dass die Menschen auf der Bühne etwas Reales haben. Wir suchen danach, wo sich in diesen Kunstfiguren reale Menschen und reale Begegnungen verstecken können.
Und wie ist deine Antwort darauf? Wo stecken diese realen Begegnungen zwischen realen Menschen in deiner Inszenierung? Gibt es die Möglichkeit für die Figuren, irgendwann einmal ‚Ernst‘ zu sein?
Ich glaube, dass sie sich über die Komödienmaschinerie ganz gut einstellen, weil Komödie auch körperlicher Einsatz ist, oder konkret, weil man sportlich aktiv ist und schwitzt. Und ich hoffe, dass durch den Versuch, diese Komödie zu spielen, am Ende das Makeup wie weggeschmolzen ist und man an einem authentischen Punkt ankommt. Bei den Fragen: Welche Not haben wir, das zu spielen? Welche Not haben wir, dass wir das anschauen? Wenn alles ironisch ist, wenn alles Zitat und Spiel ist, wie kann dann etwas Ernstes gesagt werden? Wird es dann nicht automatisch wieder komisch? Und hat das nicht auch was mit unserer Gesellschaft zu tun, dass man irgendwie gefangen ist in der permanenten Ironieschleife? Die Figuren haben, glaube ich, schon die Problematik, dass da ganz viel Außen ist und sehr wenig Innen. Und die Frage, die bei ihnen zusehen ist: Gibt es ein Zentrum in uns, das sich nach außen niederschlägt, oder ist Identität wie hier im Stück etwas, das man sich von außen anschafft, in der Hoffnung, dass dadurch ein Innen entsteht?
Jetzt mal provokant gefragt: Warum soll ich mich für die Sehnsüchte von sehr, sehr reichen, ignoranten Menschen interessieren?
Weil an die Erfahrung, die die Figuren haben, mit diesem Gefühl von Leere umzugehen, jede*r andocken kann. Ich glaube nicht, dass das das Thema ist, dass sie alle so reich sind, weil die Figuren das selber nicht thematisieren. Ich glaube, dass die Frage für die Figuren ist: Was kann ich denn eigentlich machen? Oder: Kann ich denn überhaupt etwas machen? Und sie finden die Antwort nicht. Das geht uns heute genauso. Wir sind gefangen in der Oberflächlichkeit, wobei es überall um uns herum ganz konkrete Anknüpfpunkte gäbe, wo wir was machen könnten. Wir knüpfen aber nicht an. Wir machen jeden Tag mit demselben weiter, wir sind gefangen in unserer Spirale, und eigentlich ist es uns ganz recht so. Genau die Erfahrung reproduziert sich hier permanent in diesem Stück, und dazu kann man sich ins Verhältnis setzen.
Das Stück verhandelt ja noch weitere Machtverhältnisse, zum Beispiel das zwischen den Geschlechtern. Oscar Wilde wird in seinem Werk eine gewisse Frauenfeindlichkeit attestiert, das ließe sich auch über einige Stellen in diesem Text sagen. Wie gehst du damit um?
Ich glaube, dass das Stück merklich aus einer anderen Zeit kommt und aus einem anderen Zusammenhang. Und ich denke, dass wir das im Theater nicht ungefragt übernehmen dürfen. Ich glaube aber, dass das Stück uns trotzdem viel sagen kann als Spielgrundlage. Ich denke, dass es für Oscar Wilde ein Anlass war, das Stück zu schreiben, diese Gesellschaft zu kritisieren, sich über sie zu erheben und lustig zu machen. Das hat ganz viel damit zu tun, dass das so eine heteronormative Gesellschaft ist, und man merkt dem Autor an, dass er an diese Gesellschaft nicht glaubt. Er zeigt uns eigentlich die drei Paare, die hier zusammenkommen, als oberflächlich und lächerlich, und er zeigt, dass ihre Liebe nicht profund ist. Deswegen wollte ich natürlich das beibehalten, was Oscar Wilde kritisieren möchte. Das heißt, wir bleiben bei der Besetzung in der vermeintlich normalen, heterosexuellen Ordnung, aber wir sind in einem Dialog mit dem Stück, weil wir ja zeitgenössische Menschen sind, und das bedeutet, dass wir uns bewusst machen, was wir dazu erzählen, was wir hinterfragen und im Notfall markieren, und ich glaube, so können wir einen bewussten Umgang damit schaffen. Aber wir wollen natürlich auch das Stück spielen, wir wollen die Komödienmaschinerie bedienen und benutzen, wir wollen die Energie, wie wollen den Fluss. Was ich nicht wollte, war, die Problematik, die der Autor mit dieser von ihm vielleicht als verlogen empfundenen Gesellschaft aufgegriffen hat, in der Inszenierung aufzuheben.
Er bildet diese Gesellschaft ja auch nicht naturalistisch ab, sondern dekonstruiert sie gewissermaßen in der Überzeichnung. In der Satire, im Darstellen von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit auf ironische Weise, liegt ja im besten Fall auch die Möglichkeit, in der Umkehrung des Dargestellten eine Utopie oder Alternative aufzuzeigen. Siehst du das auch in dem Stück oder ist das eine reine Abrechnung mit der Gesellschaft?
Wir haben im Probenprozess festgestellt, dass diese Figuren überhaupt nichts Aggressives haben. Also gar nicht. Man merkt, dass sie eigentlich überhaupt gar nicht gegeneinander spielen. Sie wollen sich gar nicht unterdrücken. Das ist kein französisches Drama à la „Gefährliche Liebschaften“. Diese Liebesverhältnisse haben auch nicht den Druck eines Schiller-Dramas. Es gibt keinen Hass, sondern ein Miteinander-Spielen, Miteinander-Sein-Wollen. Alle Figuren haben so eine Sehnsucht nach der Welt, wie sie sie gerne hätten. Das heißt, sie haben so ihre persönliche Utopie, und darin liegt ein Traum vom Miteinander-Sein. Auf so einer ganz basalen Ebene. Also so ganz einfach. Das erzählt für mich schon den Wunsch, dass Menschen sich grundsätzlich begegnen wollen, miteinander sein und spielen wollen, und sich nicht nur gegenseitig die Schädel einschlagen. Das sind die utopischen Momente. Ganz, ganz, ganz, ganz einfach, aber ich glaube eigentlich – wenn wir sie erwischen – ziemlich da.
Zum Schluss noch die Frage: Was ist dein Lieblingszitat im Stück?
„Ist es nicht schrecklich, wenn man nach so vielen Jahren feststellt, dass man die ganze Zeit die Wahrheit gesagt hat.“ Das finde ich einen genialen Satz, weil er auf den ersten Blick so lustig daher kommt, aber eigentlich total tiefgründig ist, weil der Begriff von Wahrheit hinterfragt wird. Ist es wahr, auch wenn ich die Intention hatte zu lügen? Kann Wahrheit dann überhaupt noch wahr sein?
Interview: Christina Zintl
Mit: Mathias Znidarec, Béla Milan Uhrlau, Gabriele Drechsel, Marielle Layher, Anabel Möbius, Jörg Zirnstein, Ali Berber, Natalja Maas
Regie: Andreas Merz Raykov
Bühne: Benjamin Schönecker
Kostüme: Veronika Bleffert
Dramaturgie: Christina Zintl
Fotos: Nils Heck