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Fahrenheit 451, Bradbury

Stadttheater Ingolstadt, Ingolstadt, Deutschland

"Leser haben immer diesen unerträglichen Blick, der sagt: Ich bin intelligenter als du."

Vor über 200 Jahren benannte Immanuel Kant das Gegensatzpaar von „Fremdbestimmtheit" und „freien Willen". Für Ihn lag die einzige Möglichkeit die Frendbestimmtheit zu verlassen und wahrhaft frei zu werden darin, selbst zu reflektieren, also zu denken. Nur da, wo jedes Individuum dies tut, kann ein wahrer Gemeinsinn entstehen. Für Friedrich Schiller schien die Kunst beziehungsweise die Schönheit ein geeigneter Weg dafür. Sie kann ein Mittel werden, den Menschen von einem beschränkten zu einem absoluten Dasein zu führen". Für Ray Bradbury liegt genau darin die große Macht der Literatur, dass die Lesenden sich durch sie über sich selbst erheben. Gute Literatur bringt uns zum Nachdenken, zum Reflektieren, dazu, alles in Frage zu stellen, was wir über die Wirklichkeit zu wissen glauben. Eine grundsätzliche Problematik sieht er darin, dass wir immer weniger von jener Literatur lesen. Er verstand seinen Roman „Fahrenheit 451" als Warnung vor der Belanglosigkeit und dem hedonistischen Glücksversprechen der Unterhaltungsmedien - allen voran des Fernsehens - die durch das Vorwegnehmen und Vereinfachen der Inhalte unser Denken lähmen. Die Ablenkungen durch das Fernsehen und die Sozialen Medien nehmen immer weiter zu. Nicht mehr das eigenständige Denken, sondern vorgedachte Kategorien rücken in den Mittelpunkt. Nicht ganz zu Unrecht wurde das Fernsehen von den 1950er bis in die 1970er Jahre als „Idiot Box" (dt. „Idiotenkiste") verspottet.

Bereits kurz nach dem Erscheinen des Romans geriet Ray Bradbury auch ins Visier der Regierung. Der US-Senator Joe McCarthy hatte eine großangelegte Kampagne gegen Kommunist*innen und Homosexuelle in Regierungsorganen und der Öffentlichkeit lanciert. Vor allem Intellektuelle, Künstler*innen und Schriftsteller*innen fielen diesem „Red Scare" (dt. roter Schreck") zum Opfer. Bradbury, der offen die Politik der Vereinigten Staaten kritisierte, fiel genau in dieses Feindbild. Er betonte jedoch mehrfach, dass er den Roman nicht als Kritik an Zensur durch Regierungen verstanden wissen will. Er kritisiert vor allem die Zensur, die von den Bürger*innen selbst ausgehe und die Meinungsvielfalt aus vorgeschobenen Gründen der Sittsamkeit oder des Anstands einschränke. Er selbst bezeichnete sich niemals als Science-Fiction-Autor, denn die Dinge, die er schrieb, lagen für ihn nicht in einer fernen, unbestimmten Zukunft, sie warteten bereits in unmittelbarer Nähe auf uns. Im Jahr 1960, nur sieben Jahre nach Erscheinen des Romans, schrieb Ray Bradbury: „Als ich den Kurzroman Fahrenheit 451 schrieb, dachte ich, Ich würde eine Welt beschreiben, die sich in vier oder fünf Jahrzehnten entwickeln könnte. Aber erst vor ein paar Wochen gingen eines Abends in Beverly Hills ein Mann und eine Frau mit ihrem Hund an mir vorbei. Ich stand da und starrte ihnen fassungslos nach. Die Frau hielt in einer Hand ein kleines, zigarettenschachtelgroßes Radio, dessen Antenne zitterte. Von ihm gingen winzige Kupferdrähte aus, die in einem zierlichen Kegel endeten, der in ihrem rechten Ohr steckte. Da ging sie, ohne Mann und Hund wahrzunehmen, lauschte fernen Winden, Flüstern und Seifenoperngeschrei, schlafwandelte und ließ sich von einem Ehemann, der genauso gut nicht hätte da sein können, den Bordstein rauf und runter helfen. Das war keine Fiktion." Professor Faber sagt im Stück: „Es sind nicht die Bücher, die Sie brauchen, es sind einige der Dinge, die einmal in ihnen standen. Bücher sind nur Gefäße, in denen wir Dinge aufbewahrten, aus Angst, sie zu vergessen." Es liegt in unserer Verantwortung welche Informationen wir welchem Medium entnehmen und uns stark zu machen für Meinungsfreiheit und selbstständiges Denken. Das bedeutet auch, nicht auf Meinungsmache und Populismus hereinzufallen und immer wieder auch unsere eigenen Meinungen und Ideen in Frage zu stellen.

                                                                                                                                                                   Kolja Buhlmann

Mit: Péter Polgár, Berna Celebi, Sarah Schulze-Tenberge, Peter Reisser, Manuela Brugger, Philip Lemke, Richard Putzinger, Hannah Glöckl/Julius Hofmann

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Regie: Andreas Merz 

Ausstattung: Anna van Leen

Musik: Juri Kannheiser

Video: Oleg Mikhailov

Choreographie: David Williams

Dramaturgie: Kolja Buhlmann

Fotos: Björn Hickmann

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