Dekalog, Kieslowski
Сцена Молот, Пермский академический Театр-Театр, Perm, Russland
"Wenn wir Grenzen überschreiten, muss das bestraft werden. Nicht aus Rache, sondern als Strafe für das verursachte Übel. Aber in wessen Namen straft das Gesetz? Im Namen der Unschuldigen? Sind wir wirklich unschuldig? Und wie können wir unschuldig bleiben, wenn wir jemanden zum Tode verurteilen?"
In seiner mehrteiligen Fernsehserie „Dekalog“ aus den 80er Jahren reflektiert der polnische Autor und Filmemacher Krzysztof Kieślowski die „Zehn Gebote“ aus der Sicht Polens im Jahr 1987. Dabei steht jede der Episoden in Bezug zu jeweils einem der biblischen Lehrsätze – allerdings nicht immer in direkter, sondern meist in loser Form: „Die Filme sollten sich etwa in dem Maße auf die Gebote beziehen, in dem sich die Gebote auf unser Leben beziehen. Uns wurde bewusst, dass diese – seit ein paar tausend Jahren existierenden – Gebote, zehn Sätze, die im Grunde von keiner Philosophie, von keiner Ideologie in Frage gestellt worden sind, trotzdem täglich gebrochen werden.“ (Kieślowski)
Kieślowski geht es nicht darum zu moralisieren. Seine Geschichten zeigen alltägliche Menschen und wie sie in ihrem Leben gegen die Gebote aus ganz unterschiedlichen Gründen verstoßen – sei es aus Habgier, Liebe oder ihrem Verständnis von Gerechtigkeit. Dabei will Kieślowski aber nicht vorführen, welches Verhalten gut und welches böse ist – es geht ihm ganz im Gegenteil darum, Empathie zu wecken für seine Protagonisten, und auf diesem Weg die Frage nach richtig und falsch unbeantwortet an das Publikum weiterzuleiten.
Verbunden sind die Geschichten durch den gemeinsamen Ort, an dem alle zehn Episoden ihren Ausgang nehmen: eine Vorstadt-Plattenbausiedlung in Warschau. Hier, in der Anonymität der grauen Betonklötze, schickt Kieślowski seine Charaktere in die „ethische Hölle“ – ganz so, als wolle er uns damit zu verstehen geben, dass es ihm nicht um singuläre Schicksale geht, sondern, dass die Konflikte seiner Figuren vor allem auch uns meinen, die wir uns ebenfalls täglich bewusst oder unbewusst in ähnlichen Entscheidungssituationen befinden – „Passt auf, neben Euch leben andere Menschen. Das, was Ihr tut, betrifft nicht nur Euch, sondern auch die, die Euch nah sind oder auch etwas weiter weg und deren Anwesenheit Ihr überhaupt nicht vermutet”, beschreibt Kieślowski.
Unsere Inszenierung beschränkt sich auf drei der zehn Teile: Du sollst nicht lügen. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht töten. Kieślowskis Erzählungen beschäftigen sich mit einem religiösen Thema in scheinbar gottloser Zeit: in der sozialistischen Volksrepublik Polen kurz vor ihrem Zerfall 1989. Das dominierenden Gefühl der Charaktere ist die Sinnlosigkeit - die in ihnen aber auch immer wieder die Hoffnung beflügelt, dass das Leben für sie mehr bereithält, als die graue Lethargie, die sie umgibt. Ihre Kämpfe sind existentiell. Ebenso wie ihr Scheitern. Kieślowskis „Dekalog“ bewegt sich zwischen den Polen Liebe und Tod. Er zeigt uns, dass eine Gesellschaft nicht blindlings nur ihren moralischen Grundsätzen hinterher laufen kann, sondern dabei auch immer den Menschen im Auge behalten muss, den sie an diesen Grundsätzen zu messen hat.
Mit: Eva Sheykis, Ivan Vilkhov, Alina Bychkovskaya, Mikhail Merkushev, Ivan Lubyagin, Ekaterina Mudraya, Kristina Bazhenova, Dmitry Kurochkin, Mark Bukin, Alexander Mehryakov, Ekaterina Vozhakova
Regie: Andreas Merz Raykov
Bühne und Kostüme: Nadezhda Osipova
Übersetzung: Ekaterina Raykova-Merz